
Brauchen wir einen Martinstag?
Als Kind kannte ich den Martinstag nicht. In meinem Ort gab es damals nichts dazu. Meine Kinder haben den Tag dann geliebt. Mit einem Licht hinter einem Reiter durch den Kiez zu ziehen, war schon besonders.
Obwohl sie vor allem darauf gewartet haben, dass sie alt genug waren, um mit dem großen Licht, der Fackel, statt der Laterne laufen zu dürfen.
Der Martinstag geht auf Martin von Tours zurück. Dieser wurde um 316 in Szombathely im heutigen Ungarn geboren. Weil sein Vater Berufssoldat war, musste auch er mit nur fünfzehn Jahren gegen seinen Willen eine militärische Laufbahn beginnen. Dadurch gelangte er auch in das heutige Südfrankreich, wo er im Alter von vierzig Jahren endlich aus dem Militärdienst freikam. Danach lebte er eine Zeit lang als asketischer Mönch, bis er schließlich - übrigens auch gegen seinen Willen - Bischof von Tours wurde. Am 11.11.397, drei Tage nach seinem Tod, wurde er dort beigesetzt. Daher feiern wir am 11.11. den Martinstag.
In unseren Gegenden am bekanntesten ist der Laternenumzug zum Martinstag. Dieser Brauch gründet auf einer Geschichte aus seiner Soldatenzeit in Amiens: In einem bitterkalten Winter soll Martin mit seinen Waffenbrüdern am Stadttor von Amiens einem armen Mann begegnet sein, Der Bettler fror und bat wohlhabenden Soldaten um Hilfe. Aber die Soldaten schenkten ihm keine Aufmerksamkeit - bis auf Martin. Er nahm das einzige, was er gerade dabei hatte - seinen Soldatenmantel - und teilte ihn mit seinem Schwert. Eine Hälfte gab er dem Frierenden. Es wird berichtet, dass einige Kameraden ihn dafür ausgelacht haben. Andere waren beschämt, weil sie nicht geteilt haben, obwohl sie doch soviel mehr hatten. Der Laternenumzug, den heutzutage viele Menschen am Martinstag begehen, kann also für die Wärme stehen, die Martin geteilt hat.
Die Geschichte erzählt von dem Soldaten Martin, wie er hoch oben auf seinem Pferd über dem einfachen Volk vorbeiritt. Wie seine Kollegen hätte er seine Position, seine Macht und seinen Wohlstand ausnutzen können. Auch er hätte einer sein können, der mit der Waffe in der Hand den Leuten noch ihr Letztes abnimmt. Das wäre die Logik der Macht, die auch in unserer Zeit so oft als das Gesetz des Stärkeren, des Reichen und Mächtigen ausgespielt wird. Aber dieser Martin handelt anders. Er nimmt seinen Mantel und teilt ihn mit einem frierenden Bettler. Er steigt aus der Machtlogik aus. Er sieht die Not und teilt. Er schenkt Wärme in einer kalten Zeit. Er lässt sich nicht vom Weggucken oder auch dem Spott der Anderen irritieren. Das finde ich bewundernswert.
Also brauchen wir einen Martinstag? Ich denke, es ist eine schöne Tradition mit den Kindern leuchtend durch den Ort zu ziehen. Vielleicht brauchen wir nicht zwingend einen Martinstag, aber unbedingt brauchen wir die Martinstat. Wir alle brauchen Menschen, die aus der Logik von Macht und Gewalt aussteigen. Wir alle brauchen unbedingt mehr menschliche Wärme. Ganz dringend benötigen wir Menschen, die den anderen sehen. Menschen, die das Leben und das, was es dazu braucht, miteinander teilen.
Es tut so gut, genau das hier bei uns in der Immanuel Albertinen Diakonie immer wieder erleben zu dürfen. Daher geht ein großes Dankeschön an all die Wärmeschenker unter uns. An alle Deeskalierer, Aufeinander-Achter, Lebensverteiler, Stärkelogik-Aussteiger, Hoffnungsstifter, Zuhörer, Notseher, …
Ein großes Dankeschön an Sie, ein großes Dankeschön an Dich!
Ein Beitrag von Matthias Heyde
Seelsorger in Brandenburger Einrichtungen der Immanuel Albertinen Diakonie